Klöker, Martin (2022). Faktisches Erzählen. Überlegungen zu Textgenese und Narratologie in Protokollen der Estländischen Ritterschaft. Saagpakk, Maris; Johanning-Radžienė, Antje; Eidukevičienė, Rūta; Heero, Aigi. Baltische Erzähl- und Lebenswelten. Berlin, Boston: De Gruyter. (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östli-chen Europa; 87)

Abstrakt

Überlegungen zu Protokoll und Bericht als erzählender Textform jenseits dichterischer Verwendung und zumal im Schrifttum des 17. Jahrhunderts gibt es bisher kaum. Deshalb widmet sich dieser Beitrag im Hinblick auf ein geplantes Editionsprojekt anhand der Protokolle des Ritterschaftssekretärs Caspar Meyer aus den Jahren 1634 bis 1653 einer ersten Analyse, die mehrere Aspekte umfasst: Nach definitorischen Vorüberlegungen wird zunächst die Entstehung des Protokolls als Vereinigung von verschiedenen Textformen (z.B. Besprechungsdokumentation, Reisebericht, Gerichtsurteil, Brief uvm.) in der vermeintlich unmittelbaren Niederschrift im Konzept und in der daraufhin mit Sorgfalt erstellten Reinschrift betrachtet. Daraufhin wird umrissen, mit welchen erzählerischen Mitteln und Strukturen die Lebenswelt der estländischen Ritter- und Landschaft im Protokoll als Wirklichkeitserzählung konstruiert wurde. Besonderes Augenmerk gilt dem Verfasser des Protokolls und seiner Repräsentation in der Erzählung. Die engen Vorgaben der Kürze und Neutralität sowie Zuverlässigkeit in der Darstellung der Wirklichkeit schränkten seine Möglichkeiten als Autor stark ein, werfen jedoch ein besonderes Licht auf die Art der Selbsterzählung, da er zugleich Protagonist der baltischen Lebenswelt ist.